Neuengland im ‘Indian Summer’

Wanderung durchs herbstliche New Hampshire

Indian Summer in Neuengland: Check. Ein großer Punkt meiner Reise-Bucketlist kann gestrichen werden. Als Marketing-Manager bei CU (und Leser dutzender Stephen King-Bücher) habe ich über die Jahre schließlich genug Fernweh entwickeln dürfen. 

Mitte September habe ich mich zunächst auf den Weg in eine meiner Lieblingsmetropolen gemacht. Die heißt New York City und hat mich mit einigen neuen Sehenswürdigkeiten und bestem T-Shirt-Wetter begrüßt. Während meiner fünf Tage Aufenthalt gab es im Grunde nur Sonne und blauen Himmel und nur eines Abends einen garstigen Schauer. Damit kann ich als Hamburger (Achtung, Klischee) gut leben. Nach einigen Tagen rund um Manhattan, Brooklyn und Queens hat mich der Nachtzug nach Boston befördert. Schon vor dem Zielort wurde ich wach – gerade rechtzeitig, um die ersten Strahlen des Sonnenlichts zu registrieren, das tieforange auf einem ansonsten pechschwarzen und ruhigen Atlantik reflektierte. Wir waren gerade irgendwo zwischen New Haven und New London. 

Willkommen in Neuengland

In Boston traf ich am Morgen meine beiden Mitreisenden, die vorher in Toronto unterwegs waren. Von der Boston South-Station brachte uns ein Uber zu Cruise America, dessen Station rund vierzig Minuten südlich der Stadt, eher in dörflichen Regionen, gelegen ist. Das kam mir aber recht gelegen, denn so hatten wir die Chance, uns nach der Einweisung auf wenig befahrenen Straßen in der Umgebung mit unserem C25 vertraut zu machen. Das C25 ist das zweitgrößte Wohnmobil von Cruise und für drei Personen meines Erachtens ziemlich optimal (solange eine Person weniger als eins achtzig lang ist, sonst wird es mit dem Bett in der Sitzecke knapp). 

Nacheinander groovten wir drei uns mit unserem neuen Gefährt ein (wobei es knapp 76.000 Meilen auf dem Buckel hatte). Da wir alle drei fuhren, konnten wir uns bei den Stopps der folgenden Tage regelmäßig abwechseln, was sich als äußerst angenehm erweisen sollte. 

Das erste Ziel unserer Rundtour war Killington in Vermont. Während der knapp vier Stunden dorthin haben wir einen Supermarkt angesteuert, um den ersten Großeinkauf zu tätigen. In unser Wohnmobil hat alles problemlos hinein gepasst. Je weiter wir in Richtung Vermont fuhren, desto bunter wurde das Laub an den Bäumen. Was rund um Boston noch recht grün wirkte, hing nun zumindest in Gelb- und Orangetönen an den Bäumen links und rechts der Highways. Schon sehr nett. Der ‘Indian Summer’ mit seinen bunten, teils tiefroten Farben an den Bäumen war schließlich einer der Gründe, weshalb wir Neuengland unbedingt im Herbst erleben wollten.

Wald und Wolken bei Killington, Vermont
Lichtspiel über einem Wald bei Killington

In Killington nutzten wir den Nachmittag für eine Wanderung. Unter anderem ein Wasserfall bot sich dafür an. Spätestens jetzt, umgeben von malerischer Natur, wirken die Erinnerungen an die große, lebendige Stadt wie aus einer fernen, vergangenen Zeit. Den Abend verbrachten wir in der Bar eines Hotels, wo wir allen Interessierten das gute, deutsche ‘Alster’ (in südlichen Gefilden ‚Radler‘) vorstellen, das im Laufe des Abends mehrfach ausgeschenkt wurde. Sollte ‘Alster’ jemals ein gebräuchlicher Begriff in den Vereinigten Staaten werden, dankt uns. Den RV stellten wir in der Nacht auf einem Parkplatz ab. Der war zwar unpowered, dafür ruhig gelegen und vergleichsweise günstig.

Scenic Highways und goldenes Laub

Am nächsten Morgen fuhren wir nach einem ausgiebigen Frühstück weiter gen Norden. Es war morgens recht kalt. Das wird in Neuengland – zumindest hinsichtlich der Laubfärbung – jedoch als etwas Positives angesehen. Schließlich ist der erste Frost Voraussetzung für das bunte Blattwerk. Glücklicherweise heizte die Sonne die Luft jedoch schnell auf, sodass wir bei unseren zahlreichen Zwischenstopps nach und nach Mützen, Schal und schließlich auch die Jacken wieder weglassen konnten. Sämtliche Ausblicke von zahlreichen Aussichtspunkten waren herausragend. Die Landschaft war durchgehend hügelig und bot entsprechend schöne Aussichten auf die Wälder. Einen längeren Zwischenstopp legten wir nach zwei Stunden Fahrt am Lake Champlain in Burlington ein. Der blaue Himmel und die Sonne spiegelten sich auf dem Wasser, während wir das Hafengebiet erkundeten und ein kleines Picknick einlegten.

Ben & Jerrys Graveyard in Vermont
Eiscreme von Ben & Jerrys in Vermont
Historischer Bus des Unternehmens Ben & Jerrys
Zu Besuch auf dem Gelände von ‚Ben & Jerry’s in Vermont‘

Was passt gut nach einem Picknick? Richtig – Eis! Wie gut, dass wir in Vermont waren und die Heimat des Eisproduzenten ‘Ben & Jerrys’ nur rund vierzig Minuten Fahrt von uns entfernt war. Kein Zufall, dass wir etwas später glücklich und zufrieden unser frisches, wohlgemerkt in einer Waffel serviertes Vermont-Eis verputzten.

Dazu zogen wir durch die heiligen Hallen des Hauses und besuchten den auf einem Hügel hinter dem Anwesen gelegenen ‘Flavor Graveyard’.

Zu Hause bei Ben & Jerry’s

Dort können Menschen um nicht mehr existente Eissorten der Marke trauern, was ich stellvertretend für viele am Grab von Marzipan getan habe. Praktischerweise war unser nächster Campground gefühlt nur einen Steinwurf entfernt gelegen. Der ‘Little River State Park’ war ein traumhaftes Domizil. Ruhig gelegen, mit direktem Zugang zu einem See. Nach einem ereignisreichen Tag geleitete uns die neuengländische Ruhe in einen guten Schlaf.

Unglückliche Emily

Am folgenden Tag setzten wir unseren Fokus auf die zwanzig Minuten entfernte Kleinstadt Stowe. Kurz vor dem Ort haben wir ‘Emily’s Bridge’ passiert. Eine kleine, überdachte Brücke, an der sich in einer fernen Vergangenheit ein unglückliches Mädchen das Leben genommen haben soll. Fast alles hat so seine Mythen und Geschichten – in den USA generell, aber in Neuengland vielleicht noch ein klein wenig mehr. Die morgendlichen, dichten Nebelschwaden, die kleine Farmhäuser und Bäume verschluckten, untermauerten diese mystische Geschichte.  

'Emily's Bridge' am Ortsrand von Stowe
Morgennebel am Ortsrand von Stowe
Typische neuengländische Kirche in Stowe
In und um Stowe, Vermont

Das kleine Städtchen Stowe ist so etwas wie ein Prototyp für Neuengland in Reinform. Eine Hauptstraße mit einigen urigen Shops und Boutiquen. Viele Flaggen am Straßenrand. Für Stowe, das Stadtfest, Vermont, die USA. Und an der für Neuengland typischen weiß gestrichenen Kirche auch eine für Jesus. Der nächste Gottesdienst wurde in großen schwarzen Lettern inklusive eines Livestreams angekündigt.

'Welcome to Stowe'-Schild in eben jener Stadt
Welcome to Stowe, Vermont

Von Stowe aus haben wir uns auf den Weg in die White Mountains begeben. Reine Fahrzeit: Drei Stunden. Fahrzeit mit genügend Aussichts- und Fotostopps an den Scenic Highways: Eher fünf bis sechs. Schließlich erreichten wir das Areal rund um den Mount Washington in New Hampshire. Unweit des ‘Mount Washington Hotels’ (das mich an eine überdimensionierte Variante des ‘Shining’-Hotels erinnerte) schafften wir es, kurz vor Feierabend eine Seilbahn in Bretton Woods auf einen Berg hinauf zu nehmen. Im goldenen Licht des Spätnachmittags war das Panorama auf die umliegenden, bunt gefärbten Wälder gigantisch. Für die Nacht steuerten wir das ‘Twin Mountain KOA’ an, das nur rund drei Kilometer entfernt lag und wiederum in ruhiger Lage eine entspannte Nacht garantierte. Lagerfeuer inklusive.

Straße führt durch das herbstliche Neuengland
Bunte Bäume am Straßenrand in Vermont

Das nächste Teilstück führte uns nach Maine – den inzwischen achten US-Bundesstaat meiner Tour. Dort hatten sich meine beiden Mitreisenden ein Rafting-Abenteuer in The Forks gebucht. Mit wiederum einigen sehenswerten Zwischenstopps dauerte die Fahrt dorthin rund fünf Stunden. Da ich nicht so der Adrenalin-Junkie bin, unternahm ich eine Wanderung über diverse Hügel und durch Täler, während die beiden sich auf dem reißenden Kennebec River austobten.

Kreuz und quer durch Maine

Das gute Wetter blieb uns übrigens auch in Neuengland stets treu. So wandelte ich unter blauem Himmel und strahlender Sonne zwischen gold- und rotgefärbten Bäumen umher und begegnete in vier Stunden nicht einer Menschenseele. Die Nacht, in der es nach dem schönen Tag unfassbar schnell dunkel und kalt wurde, verbrachten wir auf dem Gelände von ‘Northern Outdoors’. Dort gab es einige kleine powered Sites wenige hundert Meter vom Haupthaus entfernt. In dem wiederum gab es eine kleine Brauerei samt gut besuchtes Restaurant, in dem am Abend das Leben tobte. 

Cruise America C25 in Neuengland
Das Gefährt der Reise: Ein C25

Von diesem, dem nördlichsten Punkt unserer Reise, ging es von nun an in Richtung Küste. Diese erreichten wir nach rund dreieinhalb Stunden bei Bar Harbor. Das kleine Atlantik-Städtchen grenzt an den Acadia-Nationalpark. Der hatte mich auf Fotos und in Videos schon lange begeistert. Entsprechend aufgeregt war ich, als wir die schroffen und bewaldeten Küstenlandschaften erreichten. Traumhaft. Für meinen Geschmack zumindest. Allerdings scheinen den viele zu teilen. Denn die Auto-, Camper- und Touristenmassen im Nationalpark waren durchaus ganz schön doll. Nach einer Recherche der Besucherzahlen stellte ich überrascht fest, dass der Acadia-Nationalpark der drittmeistbesuchte Nationalpark der Vereinigten Staaten ist. Wieder etwas gelernt.

Fischerboote vor Bar Harbor
Eine Flagge der USA an einer Hausfassade
Fassade eines Frühstücksrestaurants in Bar Harbor
Das malerische Örtchen Bar Harbor am Acadia-Nationalpark

Abseits der überfüllten Parkplätze und Souvenirshops war das Areal aber ein einziger Traum. Je weiter man sich von Parkplätzen entfernte, desto weniger Menschen begegnete man. Das ist in den USA so ziemlich überall eine gültige Regel. Für den Nationalpark und die Stadt Bar Harbor nahmen wir uns insgesamt eineinhalb Tage Zeit.

Schroffe Küsten und Leuchttürme

Zwei Nächte verbrachten wir auf dem ‘Bar Harbor / Oceanside-KOA’, den wir bereits lange im Voraus reserviert hatten. Und das hat sich gemessen am Besucheransturm gelohnt. Viele andere Wohnmobilreisende kamen gar aus Florida, Georgia oder Texas angereist. Der Platz selbst befindet sich direkt an einem netten Strandabschnitt einige Kilometer nördlich von Bar Harbor. Die Stadt empfand ich als sehr urig, auch wenn man zu Fuß (ohne das Einkehren in viele Stores) in ein bis zwei Stunden ihren Kern schnell erschlossen hat.

Ausblick vom Cadillac Mountain im Acadia-Nationalpark
Blick vom Cadillac Mountain

Im Nationalpark hat mich besonders der Cadillac Mountain begeistert, auch wenn es dort oben während unseres morgendlichen Spaziergangs sehr gewindet hat. Insgesamt haben wir im Park vier größere Wanderungen unternommen, allesamt sehr empfehlenswert.

Leuchtturm 'Portland Head Light' im Fokus
Leuchtturm Portland Head Light

Auf dem Rückweg in Richtung Boston  legten wir einen kurzen Zwischenstopp in Bangor ein. Dort lebt ein gewisser Stephen King, weshalb ich mir mal einen seiner Inspirationsorte ansehen wollte. Ich konnte zwar weder Clowns, noch rote Ballons über Gullydeckeln entdecken. Aber das Flair vieler Geschichten und Romane konnte ich nachempfinden. Spätestens bei einem Besuch seines Hauses kam ein wenig Gruselfaktor auf. Gartentore in Form von Spinnennetzen – passend.

Von nun an führte unser Camper-Roadtrip nur noch an der Küste Maines entlang. Orte mit wohlklingenden Namen wie Belfast, Camden, Rockland, Freeport oder Portland zogen vorbei. Letzteres nutzten wir für ein spätes Mittagessen am Hafen und eine Erkundungs- und Shoppingtour. Nachdem es urplötzlich schon wieder dunkel war, war tatsächlich schon die letzte Nacht unserer Rundtour angebrochen. Die verbrachten wir vor den Toren Portlands am Wassamki Springs Campground. Ein sehr schöner Platz an einem kleinen See – bedingt durch Kälte und die inzwischen eingesetzte Dunkelheit haben wir uns aber vergleichsweise wenig auf dem Gelände aufgehalten. 

Back to Boston

Der letzte Tag hielt noch zwei Zwischenstopps bereit. Kennebunkport, ein ansehnliches Nest für fortgeschritten gut betuchte Menschen, ist unter anderem Residenzort der Familie Bush. Entsprechend drehte sich vieles um das Thema Politik. Inklusive Gift-Shops, in denen es Bushs, Obamas, Trumps oder Clintons in allen erdenklichen Formen zu erwerben gab. 

Ogunquit ist ein weiterer ansehnlicher Küstenort.

Tipp

Der folgte rund zwanzig Fahrminuten später. Am leergefegten, aber malerischen Footbridge Beach setzten wir zu einem letzten Spaziergang an. Die dunklen, schnell vorbeiziehenden Wolken am Himmel spiegelten sich nach dem Rückzug der Wellen auf dem nassen Sand und verpassten der Szenerie eine leicht dramatische Dynamik. Ein paar Möwen leisteten uns Gesellschaft und taumelten durch die flachen Wellen. Jetzt, mit dem Blick auf die Weite des Atlantiks, entwickelte sich bei uns allen eine Art Abschiedsschmerz. Entsprechend ruhig verliefen die letzten zwei Stunden Fahrt. Aus Maine wurde Massachusetts und bei einem finalen Zwischenstopp wurden alle neuen Habseligkeiten (sehr viele T-Shirts, in großen Lettern bedruckt mit den Namen gefühlt aller besuchter Orte) in die Koffer und Taschen gequetscht. Und plötzlich waren wir unseren Camper wieder los. Nach rund tausendsechshundert Kilometern in acht traumhaften Tagen. 

Neuengland: Ich komme wieder. So viel steht fest! 

Björn Esperling, Dezember 2022

Malerischer Nordosten der USA
Auf nach Neuengland

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